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Inklusionsinitiative: Wieso? Wozu? Wer? Was? Wann?

Wieso eine «Inklusionsinitiative»?

In der Schweiz leben rund 1.8 Mio. Menschen mit Behinderungen (Zahl BfS). Dank unserem System der Sozialversicherungen erhalten viele unter ihnen individuelle Unterstützung (Rente; Hilfsmittel). Trotzdem stossen sie tagtäglich auf zahlreiche Barrieren, die ihre autonome Teilhabe am gesellschaftlichen Leben wesentlich erschweren oder sogar verunmöglichen. Unsere Gesellschaft ist in vielerlei Hinsicht nicht für sie gedacht – sie ist nicht inklusiv, und dies in allen denkbaren Bereichen, wie etwa: Wohnen, Arbeit, Bildung, politische Partizipation, Zugang zum ÖV, zu Dienstleistungen, zu Bauten und Anlagen.

Das soll sich mit der Inklusionsinitiative ändern: Durch eine Anpassung unserer Bundesverfassung sollen die Rechte von Menschen mit Behinderungen gestärkt werden. Sie sollen wie alle anderen Menschen selbstbestimmt am gesellschaftlichen Leben teilhaben können. Wo nötig sollen ihnen die dafür erforderlichen Unterstützungsmassnahmen gewährt werden.


Inklusion auch für ältere Menschen

Die meisten Behinderungen entstehen im Laufe eines Lebens. Mit der Alterung der Gesellschaft nimmt die Anzahl von Menschen mit Behinderungen zu. Für uns alle steigt mit zunehmendem Alter die Wahrscheinlichkeit, mit Menschen mit körperlichen, sensoriellen, geistigen oder psychischen Behinderungen konfrontiert zu sein. Wer die Inklusionsinitiative unterstützt, trägt dazu bei, dass unsere Gesellschaft jede*n von uns in jedem Lebensabschnitt aufnehmen kann, ohne Ausgrenzung oder Diskriminierung.


Rechtliche Grundlage für Gleichstellung ungenügend

Bereits seit 22 Jahren enthält unsere Bundesverfassung ein Verbot der Diskriminierung aufgrund einer körperlichen, geistigen oder psychischen Behinderung (Art. 8 Abs. 2 BV). Zudem werden die Gesetzgeber des Bundes und der Kantone verpflichtet, «Massnahmen zur Beseitigung von Benachteiligungen der Behinderten» zu ergreifen (Art. 8 Abs. 4 BV). Auf Ebene der Bundesgesetzgebung sind die Rechte von Menschen mit Behinderungen konkretisiert worden, insbesondere im Behindertengleichstellungsgesetz sowie im Invalidenversicherungsgesetz. Erst in den letzten drei Jahren haben ein paar wenige Kantone als Antwort auf Art. 8 Abs. 4 BV Behindertenrechtgesetze erlassen (BS/VS/NE); weitere sind zurzeit daran, entsprechende Grundlagen zu erarbeiten (BL/GE/GL).


Nach 22 Jahren ist eine nüchterne Bilanz erlaubt. Unsere verfassungsrechtlichen Grundlagen reichen offensichtlich nicht, um die rechtliche und tatsächliche Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen in unserer Gesellschaft sicherzustellen. Dies zeigt sich in den folgenden Beispielen:

  • Heute noch sind trotz der bestehenden Rechtsgrundlagen viele Menschen mit Behinderungen gezwungen, mangels Alternativen in einer Institution zu leben;

  • Menschen werden als Folge ihrer Behinderung etwa von Restaurants, Arztpraxen, Kulturstätten ausgeschlossen oder können an öffentlichen Veranstaltungen nicht teilnehmen;

  • Die Ausübung einer beruflichen oder politischen Tätigkeit ist für viele Menschen mit Behinderungen erschwert.


Kritik des UNO-BRK-Ausschusses vom März 2022

Der UNO-Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen kommt zum Schluss, dass die aktuellen Schweizer Rechtsgrundlagen keineswegs reichen, um die rechtliche und tatsächliche Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen sicherzustellen. Er hat im März 2022 die Schweiz zum ersten Mal überprüft und diese für seine ungenügende Umsetzung der Konvention in beinahe allen Lebensbereichen stark kritisiert. In seinen Schlussempfehlungen hat er sie insbesondere aufgefordert, ihre Rechtsgrundlagen – auch auf Verfassungsebene – an die Anforderungen der UNO-BRK anzupassen.


Die Hauptinhalte der Inklusionsinitiative

Die Inklusionsinitiative will:

  • Die Rechte von Menschen mit Behinderungen in Art. 8 BV (Gleichstellung) stärken. Im Gegensatz zum heutigen Text soll deutlich zum Ausdruck gebracht werden, dass der Gesetzgeber die rechtliche und tatsächliche Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen sicherstellen muss. Zudem auch, dass Menschen mit Behinderungen einen Anspruch auf diejenigen Vorkehrungen haben, die hierzu nötig sind.

  • Art. 13 BV (Schutz der Privatsphäre/Achtung des Privat-, Familienlebens und der Wohnung) mit Blick auf Menschen mit Behinderungen konkretisieren. Ziel ist es, dass diese – im Gegensatz zur heutigen Realität – gleich wie andere Menschen ihre Wohnform und ihren Wohnort wählen können; bei Bedarf sollen sie die hierzu nötige Unterstützung erhalten.

  • Art. 112b («Förderung der Eingliederung Invalider») und 112 c BV (« Betagten- und Behindertenhilfe») zusammennehmen und so umformulieren, dass diese Bestimmungen als Grundlage für die Ausrichtung von Geld- und Sachleistungen zwecks gleichberechtigter Teilhabe von Menschen mit Behinderungen und betagten Menschen in allen Lebensbereichen dienen. Die heutige Kompetenzaufteilung zwischen Bund und Kantonen (Leben in Institutionen Kantone, Leben zuhause, hauptsächlich Bund) geht an den Erfordernissen der Praxis vorbei und soll flexibler gestaltet werden. Zudem ist der aktuelle Wortlaut dieser Bestimmungen (etwa: «Eingliederung Invalider») veraltet.


Trägerschaft

Angestrebt wird eine überparteiliche, breite Allianz von zivilgesellschaftlichen Netzwerken von Menschen mit Behinderungen, Fachorganisationen und Verbänden. In der Vorbereitungsgruppe der Initiative haben der Verein Tatkraft, Inclusion Handicap, AGILE.CH und die Stiftung für direkte Demokratie mitgearbeitet.


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